Moderne Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy gelten seit Jahren als kleine medizinische Revolution: Sie helfen Diabetikern, das Gewicht zu stabilisieren, und ermöglichen vielen Menschen mit starkem Übergewicht erstmals deutliche Erfolge. Doch ein seltenes, dafür schwerwiegendes Risiko rückt zunehmend in den Fokus – Schäden am Sehnerv. In Dänemark wurden nun erstmals mehrere Fälle offiziell anerkannt und hoch entschädigt.
Im Mittelpunkt steht eine Erkrankung mit dem sperrigen Namen NAION (Non-arteritische anteriore ischämische Optikusneuropathie). Dabei wird der Sehnerv vorübergehend nicht ausreichend durchblutet. Das führt oft zu einem plötzlichen, schmerzlosen Sehverlust – manchmal nur auf einem Auge, in seltenen Fällen dauerhaft.
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA stuft das Risiko seit Mitte 2025 offiziell als „sehr selten“ ein. Das bedeutet: Statistisch tritt die Erkrankung höchstens einmal pro 10.000 Behandlungsjahre auf. Dennoch gilt sie als medizinisch relevant, weil sich der Verlust des Sehvermögens nicht rückgängig machen lässt.
Mehrere internationale Studien hatten zuvor darauf hingewiesen, dass Patientinnen und Patienten unter Semaglutid ein erhöhtes Risiko tragen könnten. Eine große US-Analyse zeigte je nach Patientengruppe ein vier- bis siebenfach gesteigertes relatives Risiko. Auch Hinweise auf eine mögliche Verschlechterung bestimmter altersabhängiger Netzhauterkrankungen wurden diskutiert.
Der für Aufsehen sorgende Fall kommt aus Dänemark: Vier Betroffene erhielten insgesamt rund 800.000 dänische Kronen, also mehr als 120.000 Dollar, nachdem das staatliche Entschädigungssystem einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Semaglutid und ihrem Sehverlust anerkannt hatte. Die Fälle sind zwar selten, aber sie zeigen, dass Behörden eine Verantwortung sehen – und dass Betroffene mit fundierter medizinischer Dokumentation Chancen auf Entschädigung haben.
Für Nutzerinnen und Nutzer von Abnehmspritzen bedeutet das jedoch keineswegs, in Panik zu verfallen. Der Nutzen der Medikamente ist gut belegt: Gewichtsreduktion, bessere Blutzuckerwerte und oft eine deutliche Entlastung des Herz-Kreislauf-Systems. Die neue Erkenntnis heißt eher: bewusster umgehen, mögliche Symptome kennen und bei plötzlich verschlechtertem Sehen unverzüglich eine augenärztliche Untersuchung einleiten.
Vor Beginn einer Behandlung lohnt es sich, Vorerkrankungen am Auge, Gefäßprobleme oder Schlafapnoe offen anzusprechen – denn all dies sind bekannte Risikofaktoren für NAION, unabhängig vom Medikament. Wer bereits mit Ozempic oder Wegovy behandelt wird und Veränderungen bemerkt, sollte nicht zögern: Je früher die Diagnose, desto besser stehen die Chancen, die Schäden zu begrenzen.
Der dänische Fall könnte europaweit Signalwirkung haben. Ob ähnliche Entschädigungen auch in Deutschland möglich sind, hängt vom individuellen Nachweis und von gut dokumentierten medizinischen Unterlagen ab. Sicher ist aber: Das Thema wird die Regulierung und die medizinische Praxis weiter beschäftigen. Die Kombination aus großem Nutzen, seltener aber schwerer Nebenwirkung und wachsender Nachfrage sorgt dafür, dass Forschung und Behörden nun genauer hinsehen. Für Patientinnen und Patienten entsteht daraus vor allem eines: mehr Klarheit – und mehr Sicherheit.
Quellen (Auswahl)
- Reuters: Denmark compensates patients for vision loss linked to Novo Nordisk drugs (21.11.2025)
- Reuters: Ozempic, Wegovy may cause rare eye disorder, EU regulator says (06.06.2025)
- EMA: PRAC concludes NAION a very rare side effect of semaglutide medicines (2025)
- JAMA Ophthalmology: Studie zu NAION-Risiken unter Semaglutid (2024/2025)
- Massachusetts Eye and Ear: Bericht zu Sehnervschäden unter GLP-1-Medikamenten (2024)
- The Guardian: Analyse zu Netzhautrisiken bei GLP-1-Therapie (2025)
