Die Makula — der zentrale Bereich der Netzhaut (Retina) — ist jener Bereich, der für das scharfe (zentrale) Sehen zuständig ist. Bei der trockenen Form der AMD mit geografischer Atrophie (GA) gehen dort nach und nach Lichtsinneszellen (Photorezeptoren) verloren, was zu massiven Einschränkungen des Sehvermögens bis hin zur Erblindung im Zentrum führen kann.
Genauso ist der Ausgangspunkt für das Verfahren: In der aktuellen Studie wurde ein Implantat mit den ungefähren Maßen 2 × 2 Millimeter in die Region unterhalb der Makula eingesetzt.
Funktionsweise im Überblick
Das System besteht aus drei Hauptkomponenten:
Der Chip: Subretinal implantiert, kabellos (photovoltaisch) – er empfängt Licht-Impulse und wandelt diese in elektrische Signale um, die dann von den verbleibenden retinalen Zellen weitergeleitet werden.
Die Brille mit Kamera: Auf dem Brillenrahmen sitzt eine Kamera, die das Licht aufnimmt, dann über die Brille und ggf. über eine Bildverarbeitungseinheit (z. B. in einer Taschen-Verarbeitungseinheit) das Bild in infrarotes Licht umwandelt und an den Chip sendet.
Die Software/Verarbeitung: Das eingehende Bild wird verarbeitet, ggf. vergrößert („Zoom“), kontrast-angepasst und dann über die Brille projiziert. Der Chip empfängt diese Projektion, stimuliert die inneren Netzhautschichten elektrisch und so entsteht wieder eine Form von „zentrales Sehen“.
Die Technologie zielt also nicht darauf ab, die verlorenen Photorezeptoren zu ersetzen im klassischen Sinn, sondern ihre Funktion elektronisch nachzubilden – und damit dem Gehirn wieder sinnvolle Signale zu liefern.
Studiendaten und Ergebnisse
Studienaufbau
Die aktuelle Studie („PRIMAvera“) war eine multizentrische europäische Studie mit 38 Teilnehmern, die an geografischer Atrophie wegen trockener AMD litten und bereits einen ausgeprägten Verlust der zentralen Netzhautfunktion hatten. Ein früherer Machbarkeits-Versuch mit 5 Patientinnen/Patienten zeigte bereits die Machbarkeit des Systems.
Ergebnisse im Überblick
Bei vielen Teilnehmern konnte durch das System wieder Lesen von einzelnen Buchstaben oder sogar Wortfolgen erzielt werden. Etwa 84 % der Teilnehmer waren laut Pressebericht nach der Implantation in der Lage, Buchstaben oder Wörter zu erkennen.
In einer Auswertung nach 12 Monaten zeigte sich im Schnitt eine Verbesserung von 23 ETDRS-Buchstaben (≈ 4,6 Zeilen) gegenüber dem Ausgangswert. Ein Patient erzielte bis zu 59 Buchstaben Verbesserung (~11,8 Zeilen).
Über längere Zeit: In einer Studie mit 48 Monaten Nachbeobachtung zeigte sich, dass bei mit dem Chip versorgten Augen kein Rückgang des verbliebenen peripheren Sehens auftrat und mit der Zoom-Funktion eine klinisch bedeutsame Verbesserung des Sehens erzielt wurde.
Sicherheitsaspekte
Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählten u. a. Netzhautablösungen, Druckerhöhungen im Auge, subretinale Blutungen. In den Berichten wird jedoch hervorgehoben, dass die Sicherheitsbilanz akzeptabel war im Rahmen der Studie.
Die Implantation erfolgt via Vitrektomie (operative Entfernung des Glaskörpers) und subretinale Platzierung des Chips — ein chirurgischer Eingriff mit typischen Risiken.
Bedeutung & Ausblick
Diese Technologie markiert einen entscheidenden Fortschritt: Gerade bei der trockenen Form der AMD mit geografischer Atrophie gibt es bislang keine etablierten Therapien, die verlorene Photorezeptoren ersetzen oder das zentrale Sehen wiederherstellen können.
Das Implantat zeigt, dass ein solches Ziel technisch möglich ist: Eine kleine subretinale Photovoltaik-Einheit, gekoppelt mit einer Kamera-Brille, kann wieder zentralen Sinneseindruck erzeugen – wenn auch noch kein vollständiges „Normalsehen“. Wie ein Augenarzt zitiert wird: „Ich glaube nicht, dass wir jemals 20/20 Sehen alleine mit dem Implantat erreichen, aber wir arbeiten daran, die Lebensqualität der Patienten deutlich zu verbessern.“
Für die Praxis bedeutet das:
Menschen mit trockener AMD und zentralem Sehverlust könnten künftig eine reale Option bekommen, um wieder Formen, Buchstaben, Wörter zu erkennen.
Das System ist noch im Studien- oder Zulassungsstadium — es wird noch Zeit brauchen, bis eine breite Verfügbarkeit besteht.
Wichtig wird sein, wie etwa Kosten, Langzeitsicherheit, Alltagsnutzen und Rehabilitation nach Implantation aussehen. Denn: Implantieren heißt noch nicht automatisch „sehen wie früher“ – Trainings- und Anpassungsvorgänge sind erforderlich.
Fazit
Das 2 × 2 mm große Implantat des PRIMA-Systems stellt eine bemerkenswerte Innovation in der Behandlung schwerer Makula-Erkrankungen dar. Für viele Betroffene mit trockener AMD war bislang keine sinnvolle Therapie zur Wiederherstellung des zentralen Sehens verfügbar. Erste Studien belegen, dass mit dieser Technologie zentrale Seheindrücke zurückgewonnen werden können – mit signifikanten Verbesserungen in Buchstabenerkennung und Sehlabstufung bei akzeptabler Sicherheit. Noch sind Zweifel über breite Zugänglichkeit, Langzeiteffekte und Alltagstauglichkeit angebracht, doch der Weg in eine neue Ära der künstlichen Sehwiederherstellung ist offen.
Quellenanhang
Muqit MMK, Le Mer Y, Olmos de Koo L, Holz FG, Sahel JA, Palanker D. „Prosthetic Visual Acuity with the PRIMA Subretinal Microchip in Patients with Atrophic Age-Related Macular Degeneration at 4 Years Follow-up.“ Ophthalmology Science. 2024 Mar 7;4(5):100510. doi:10.1016/j.xops.2024.100510. PMID: 38881600.
Leberstudie „Subretinal Photovoltaic Implant to Restore Vision in Atrophic AMD“ (ClinicalTrials.gov: NCT04676854).
Newsbericht: „Retina Implant Restores Vision in European Trial“. Retinal Physician, 23 Okt. 2024.
„Revolutionary Prosthetic Eye Chip Restores Sight in Medical First.“ ScienceAlert, Okt. 2025.
„Experts hail ‘remarkable’ success of electronic implant in restoring sight.“ The Guardian, 20 Okt. 2025.
Stanford Medicine: „Eye prosthesis is the first to restore sight lost to macular degeneration.“ 20 Okt. 2025.
Macular Society: „Q&A – your questions answered on the revolutionary bionic eye chip.” Jan. 2022.
Wang B-Y et al. „Pixel size limit of the PRIMA implants…“ PMC. 2022? (Analyse zur Auflösung und technischen Grenzen)
BusinessWire: „Science Corp’s PRIMA Implant Restores Vision in Preliminary Clinical Trial Results.“ Okt. 2024.
UPMC: „PRIMA Bionic Vision System Clinical Feasibility Research Study.“ (Informationen zur Systembeschreibung)
