In den Vereinigten Staaten tobt 2025 eine hitzige Debatte über die Frage, ob Optometristen zukünftig bestimmte chirurgische Eingriffe am Auge vornehmen dürfen sollen. Was auf den ersten Blick wie ein interner Kompetenzstreit innerhalb der Augenheilkunde wirkt, betrifft in Wahrheit fundamentale Fragen zur Patientenversorgung, medizinischen Qualität und dem Zugang zu Gesundheitsleistungen.
Ob in den USA oder Deutschland – die Rolle von Optometristen sorgt zunehmend für Diskussionen. Während in den Vereinigten Staaten heftig über eine Ausweitung der chirurgischen Befugnisse gestritten wird, ringen Fachverbände in Deutschland um Sichtbarkeit, Qualifikationsstandards und rechtliche Klarheit. Die Frage lautet überall ähnlich: Welche Aufgaben dürfen Optometristen übernehmen, wo beginnt die Verantwortung der Augenärzte – und wie informiert ist die Bevölkerung über diese Unterschiede? Der folgende Beitrag beleuchtet den Stand der Debatte, rechtliche Entwicklungen und die praktische Versorgungslage in beiden Ländern.
Worum geht es konkret?
Optometristen in den USA sind akademisch ausgebildete Spezialisten für die Untersuchung des Sehens, Fehlsichtigkeiten und Augenerkrankungen. Im Gegensatz zu Ophthalmologen (Fachärzten für Augenheilkunde) absolvieren sie jedoch kein Medizinstudium, sondern ein vierjähriges Optometrie-Studium (Doctor of Optometry, O.D.). Sie sind nicht chirurgisch ausgebildet, sondern diagnostizieren und behandeln vorwiegend mit Brillen, Kontaktlinsen und Medikamenten.
In mehreren Bundesstaaten wird derzeit diskutiert, ob Optometristen – mit Zusatzqualifikation – bestimmte operative Eingriffe übernehmen dürfen. Dazu gehören vor allem:
- YAG-Laser-Kapsulotomien (z. B. nach Katarakt-OP)
- Selektive Lasertrabekuloplastik (SLT) bei Glaukom
- Entfernung von kleinen Fremdkörpern
Pro-Argumente: Versorgung verbessern, Kosten senken
Befürworter, darunter Berufsverbände der Optometristen und einige Politiker, führen folgende Punkte an:
- Versorgungsengpässe in ländlichen Regionen: Gerade in bevölkerungsschwachen Bundesstaaten ist die augenärztliche Versorgung oft unzureichend. Optometristen könnten hier die Lücken schließen.
- Effizienzsteigerung: Optometristen könnten Routineeingriffe übernehmen, sodass Ophthalmologen mehr Zeit für komplexe Fälle haben.
- Kostensenkung: Die Behandlung durch Optometristen ist oft günstiger als durch Ärzte. Das könnte sich positiv auf Versicherungen und Patienten auswirken.
In Montana etwa wurde im Mai 2025 ein Gesetz verabschiedet, das Optometristen mit entsprechender Ausbildung Laserbehandlungen erlaubt.
Contra-Argumente: Sicherheitsbedenken und Qualifikationsmangel
Ophthalmologenverbände wie die American Academy of Ophthalmology (AAO) schlagen Alarm. Sie verweisen auf:
- Unzureichende chirurgische Ausbildung: Ein vierwöchiger Laserkurs reiche nicht aus, um die Komplexität und Risiken der Eingriffe zu verstehen und zu beherrschen.
- Patientensicherheit: Selbst vermeintlich einfache Eingriffe wie eine Kapsulotomie können Komplikationen auslösen (z. B. Netzhautablösung).
- Irreführung der Patienten: Viele Patienten könnten Optometristen fälschlich für vollwertige Augenärzte halten.
Ein Beispiel für erfolgreichen Widerstand war im April 2025 der Bundesstaat New Mexico. Dort wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf von Gouverneurin Michelle Lujan Grisham mit Verweis auf Patientenschutz und fehlende Qualifikation der Optometristen abgelehnt.
Entwicklung in weiteren Bundesstaaten
Mindestens 13 US-Bundesstaaten haben 2025 Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, um den Handlungsspielraum der Optometristen zu erweitern – darunter Florida, Texas, Alabama, Kansas und Kentucky. In Florida wird aktuell HB 449 debattiert, ein Gesetzesentwurf, der Optometristen Laseroperationen unter Auflagen erlauben würde.
Die American Medical Association (AMA) unterstützt den Widerstand der Ophthalmologen mit dem Hinweis, dass chirurgische Eingriffe ausschließlich Ärzten mit entsprechender Ausbildung vorbehalten bleiben sollten.
Eine zusammenfassende Übersicht der Bundesstaaten mit Gesetzesinitiativen findet sich bei der Fachpresse.
Verständnislücken beim Verbraucher – Wissen, Wahrnehmung und Risiko
Eine häufig übersehene, aber äußerst relevante Dimension dieser Debatte ist das unzureichende Verständnis der Verbraucher über die unterschiedlichen Berufsrollen in der augenärztlichen Versorgung.
Mehrere Studien haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht zwischen Optometristen, Augenoptikern und Augenärzten unterscheiden kann – mit potenziell folgenschweren Auswirkungen für die Wahl der richtigen Versorgung:
- USA (National Consumers League, 2005): Rund 30 % der befragten Amerikaner gingen davon aus, dass Optometristen ein Medizinstudium absolviert hätten; fast 50 % hielten sie für fachärztlich anerkannt. Diese Ergebnisse deuten auf ein grundlegendes Missverständnis der Ausbildungswege und Zuständigkeiten hin.
- Saudi-Arabien (2018): Eine in Riad durchgeführte Studie zeigte, dass lediglich 18 % der Befragten korrekt zwischen Optometristen und Ophthalmologen unterscheiden konnten. Die Autoren betonten, dass ein besseres Verständnis insbesondere in Situationen medizinischer Erstkonsultation entscheidend sei.
- USA (Los Angeles County): Eine Untersuchung aus den 1990er Jahren ergab, dass ein besseres Verständnis vor allem bei Personen mit höherer Bildung, regelmäßigem Brillentragen und früheren Augenuntersuchungen vorhanden war. Daraus lässt sich schließen, dass gezielte Aufklärung durchaus Wirkung zeigen kann.
Für Deutschland fehlen systematische Untersuchungen, doch Fachkreise weisen auf ähnliche Defizite hin. Der Begriff „Optometrist“ ist in der Bevölkerung wenig verbreitet und wird häufig mit dem klassischen Augenoptiker verwechselt. Dies erschwert nicht nur die fachliche Orientierung für Patienten, sondern erhöht auch das Risiko unangemessener Erwartungshaltungen.
Ein strukturiertes Informationsangebot – etwa in Form einheitlicher Berufsdefinitionen und öffentlicher Aufklärung – könnte die Transparenz und Sicherheit im Gesundheitswesen deutlich verbessern.
Lage der Optometrie in Deutschland – Struktur, Versorgung, Herausforderungen
In Deutschland ist die Optometrie rechtlich und praktisch eng mit der klassischen Augenoptik verbunden. Der Begriff „Optometrist“ ist in Deutschland nicht geschützt, was bedeutet, dass sowohl Gesellen als auch Meister oder spezialisierte Fachkräfte diesen Titel führen können – oft mit sehr unterschiedlicher Qualifikation.
Die Versorgung erfolgt überwiegend durch augenoptische Fachgeschäfte, in denen optometrische Leistungen zunehmend an Bedeutung gewinnen – z. B. Refraktionsbestimmung, Kontaktlinsenanpassung, Screening auf Augenkrankheiten oder Sehschärfenanalysen. Viele Fachgeschäfte bieten mittlerweile erweiterte Mess- und Prüfmethoden an, etwa mittels OCT (optische Kohärenztomografie), Tonometrie oder Netzhautanalyse.
Laut dem ZVA-Branchenbericht 2023/2024:
- Existierten etwa 11.000 Augenoptikbetriebe in Deutschland – mit einem rückläufigen Trend aufgrund von Konzentrationen im Markt.
- 2023 lag die Zahl der Auszubildenden bei 6.725 – ein Rückgang von 4,1 % im Vergleich zum Vorjahr.
- 41 % der Betriebe gaben an, offene Stellen zu haben, aber nur ein Drittel konnte sie qualifiziert besetzen.
Das Berufsbild „Optometrist/in“ wird über Fortbildungen oder (Fach-)Hochschulabschlüsse vermittelt – etwa durch die Hochschule Aalen, Beuth Hochschule Berlin, Ernst-Abbe-Hochschule Jena oder die FH Lübeck. Die „Gütegemeinschaft Optometrische Leistungen e.V.“ (GOL) führt ein Optometristen-Register zur Qualitätssicherung.
Ein strukturelles Problem ist die fehlende rechtliche Abgrenzung zur Augenoptik – was zu Unsicherheiten bei Patienten und Leistungserbringern führen kann. Der Zentralverband ZVA sowie Berufsbildungsanbieter wie das ZVA-Bildungszentrum in Dormagen setzen sich für eine klarere Profilierung und Sichtbarkeit des Berufs ein.
Insgesamt ist die optometrische Versorgung in Deutschland gut ausgebaut, leidet jedoch unter Nachwuchsproblemen und mangelnder Sichtbarkeit. Es gibt keine gesetzliche Grundlage wie in den USA oder UK, aber freiwillige Qualitätssiegel und berufspolitische Standards tragen zur Orientierung bei.
Fazit
Die Diskussion um die OP-Kompetenz von Optometristen ist Teil eines größeren Trends zur Delegation medizinischer Aufgaben. Während Befürworter den Aspekt der Versorgungsverbesserung betonen, bleibt die Frage offen, wie die Patientensicherheit garantiert werden kann. Die Entwicklung wird voraussichtlich weitergehen – sowohl in Richtung Ausweitung als auch mit neuen Vetos.
Auch in Deutschland stellt sich die Herausforderung, optometrische Leistungen sichtbarer zu machen, ihre Qualität zu sichern und sie klarer vom ärztlichen Bereich abzugrenzen.
Ausführliche Quellen:
- Eyes on Eyecare (02.05.2025): „Montana Passes OD Scope Expansion for Laser Procedures“ – https://glance.eyesoneyecare.com/stories/2025-05-02/montana-passes-od-scope-expansion-for-laser-procedures
- American Academy of Ophthalmology (April 2025): „Dangerous Optometric Surgery Bill Vetoed in New Mexico“ – https://www.aao.org/advocacy/eye-on-advocacy-article/dangerous-optometric-surgery-bill-veto-new-mexico
- Florida State Senate (2025): HB 449 Analysis – https://www.flsenate.gov/Session/Bill/2025/449/Analyses/h0449c.HHS.PDF
- American Medical Association (18.04.2025): Advocacy Update – https://www.ama-assn.org/health-care-advocacy/advocacy-update/april-18-2025-state-advocacy-update
- Review of Optometry (April 2025): „Special Report: At Least 13 States Pursuing Scope Expansion in 2025“ – https://www.reviewofoptometry.com/news/article/special-report-at-least-13-states-pursuing-scope-expansion-in-2025
- National Consumers League (2005): „Who does what? Consumers confused about eye care providers’ training and M.D. status“ – https://nclnet.org/who_does_what_consumers_confused_about_eye_care_providers_training_m_d_status/
- Al Mahdi H, et al. (2018): „Knowledge and perception of eye care professionals among adult population in Riyadh“, in: Middle East African Journal of Ophthalmology – https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6186321/
- Keay L, et al. (1996): „Public understanding of eye care providers: a population-based study in Los Angeles County“, in: Archives of Ophthalmology – https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/8790618/
- Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA): Branchenbericht 2023/2024 – https://www.zva.de/wp-content/uploads/ZVA_Branchenbericht_2023_2024_2.pdf
- eyebizz (2024): „ZVA-Zahlen: Fachkräftemangel und Marktkonzentration“ – https://www.eyebizz.de/branche/zva-zahlen-fachkraefte-mangel-und-markt-konzentration/
- eyebizz (2023): „Gütegemeinschaft Optometrische Leistungen: Optometristen-Register“ – https://www.eyebizz.de/thema/optometrie/