
Die Therapie des Grünen Stars (Glaukom) erfährt derzeit eine Erweiterung durch nicht-invasive neuromodulative Verfahren. Mehrere internationale Studien untersuchen den Nutzen schwacher Stromimpulse, die über Hornhaut, Augenhöhle oder Lidhaut verabreicht werden, um Sehnervenfunktionen zu stabilisieren oder sogar zu verbessern. Der folgende Artikel fasst den aktuellen Stand der Forschung neutral und mit wissenschaftlich belegten Quellen zusammen.
Glaukom und seine Herausforderungen
Das Glaukom, umgangssprachlich auch Grüner Star genannt, gehört weltweit zu den häufigsten Ursachen für irreversible Erblindung. Die Erkrankung geht in vielen Fällen mit einem erhöhten Augeninnendruck einher, der über die Jahre zur Schädigung des Sehnervs führt. Obwohl drucksenkende Medikamente und chirurgische Verfahren heute zur Standardbehandlung gehören, bleibt das Fortschreiten des Gesichtsfeldverlustes in vielen Fällen eine Herausforderung. Daher wird verstärkt nach ergänzenden Therapien geforscht, die auf den Erhalt neuronaler Funktionen zielen.
Transkorneale Elektrostimulation (TES)
Ein vielversprechender Ansatz wird derzeit an der Universitätsmedizin Mainz untersucht: die transkorneale Elektrostimulation (TES). Dabei werden schwache, pulsierende Stromimpulse über Elektroden, die auf der Hornhaut positioniert sind, in das Auge geleitet. Ziel ist es, verbliebene Netzhautzellen zu stimulieren und degenerative Prozesse im Bereich des Sehnervs zu verlangsamen. Die aktuelle Studie mit dem Titel „TESGLOW“ untersucht gezielt Patienten mit Offenwinkelglaukom und dokumentiert Veränderungen im Gesichtsfeld über einen Zeitraum von zwölf Monaten. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Unimedizin Mainz, 2023).
Repetitive transorbitale Wechselstromstimulation (rtACS)
Parallel dazu läuft in den USA eine klinische Studie zur sogenannten rtACS (repetitive transorbital alternating current stimulation). Dieses Verfahren nutzt Elektroden in der Nähe der Augenhöhle, um das visuelle System durch leichte Wechselstromreize zu beeinflussen. Die Hoffnung ist, über Modulation kortikaler Netzwerke die visuelle Wahrnehmung bei Glaukom zu stabilisieren. Eine laufende Phase-I/II-Studie unter der Leitung der Stanford University untersucht derzeit Sicherheit, Verträglichkeit und erste klinische Effekte bei Glaukompatienten (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT05626491).
Transpalpebrale Elektrostimulation (TPES)
Auch in Lateinamerika wird an ähnlichen Verfahren geforscht. Eine mexikanische Arbeitsgruppe publizierte 2018 eine Studie zur transpalpebralen Elektrostimulation (TPES), bei der die Stromimpulse über das geschlossene Augenlid verabreicht werden. In einer randomisierten Untersuchung mit Patienten, die an Offenwinkelglaukom litten, wurde ein signifikanter Rückgang des Augeninnendrucks beobachtet. Die Autoren sehen hierin einen ergänzenden Behandlungsansatz, der insbesondere bei medikamentös schlecht kontrollierbarem Glaukom Potenzial haben könnte (González et al., 2018, Medical Hypothesis, Discovery & Innovation in Ophthalmology, PMID: 30112460).
Aktuelle Bewertung und Ausblick
Alle genannten Verfahren eint, dass sie nicht invasiv sind und auf eine Aktivierung körpereigener Regenerationsmechanismen setzen. Allerdings befinden sich diese Ansätze noch in einem frühen Stadium der klinischen Entwicklung. Bisherige Studien liefern zwar vielversprechende Daten zur Verträglichkeit und zu kurzfristigen Effekten, doch fehlen noch belastbare Langzeitdaten zu Wirksamkeit und praktischer Anwendbarkeit im Alltag.
Zudem stehen ethische und methodologische Fragen im Raum: Wie objektiv lassen sich funktionelle Verbesserungen messen? Welche Patientengruppen profitieren tatsächlich? Und welche Mechanismen stehen hinter den beobachteten Effekten?
Fazit
Die Elektrostimulation eröffnet in der Glaukomtherapie eine neue therapeutische Perspektive jenseits der reinen Drucksenkung. Ob und in welchem Umfang sich diese Verfahren als Ergänzung etablieren können, wird erst durch weitere randomisierte, placebokontrollierte Studien mit Langzeitverlauf geklärt werden müssen. Für betroffene Patientinnen und Patienten bleibt es ein Hoffnungsfeld, das mit wissenschaftlicher Sorgfalt weiter erforscht werden muss.
Quellen:
Universitätsmedizin Mainz (2023). Neue Studie zur Therapie von Gesichtsfelddefekten mit Stromimpulsen bei Glaukom. https://www.unimedizin-mainz.de
Stanford University / ClinicalTrials.gov. Alternating Current Stimulation for Visual Rehabilitation in Glaucoma. Studiennummer: NCT05626491. https://clinicaltrials.gov/study/NCT05626491
González de la Rosa M. et al. (2018). Transpalpebral Electrical Stimulation Lowers Intraocular Pressure in Open-Angle Glaucoma: A Pilot Study. Medical Hypothesis, Discovery & Innovation in Ophthalmology. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6079529/